Die Sendung wurde am 7. 9. 2015 um 14.05 (Radiodoktor) im Programm Ö1 ausgestrahlt und ist bis inkl. Sonntag noch im Internet abrufbar:
Brigitte Hackenberg
Psychosozialer Dienst Burgenland
Alexandra Mayer
Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik Mödling
Kristina Moll
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, München
Arten der Lernstörung
Unter den Lernstörungen im engeren Sinn versteht man die Lese-Rechtschreibstörungen (LRS, auch Legasthenie genannt), die Rechenstörung (Dyskalkulie) sowie Kombinationen aus beiden. Kinder mit Lernstörungen weisen eine normale Intelligenz auf. Typische Anzeichen einer Legasthenie sind das Vertauschen von Buchstaben, Silben oder Worten, das Auslassen oder Verdrehen von Worten, beim Schreiben das Verwechseln, Verdrehen (z.B. d-b) und Auslassen von Buchstaben oder Schwierigkeiten beim Abschreiben von Texten. Bei der Dyskalkulie bestehen Probleme im (richtigen) Verstehen von Zahlen, Mengen und Rechenarten.
Kinder mit Lernstörungen leiden als Folge davon häufig unter Schulunlust, Schulangst, Einnässen, Hyperaktivität oder Unkonzentriertheit.
Familiäre Probleme nicht schuld
Die Häufigkeit von Rechenstörungen beträgt zwischen einem und sechs Prozent. Das Handicap Legasthenie tragen zwischen zwei und acht Prozent der Kinder. Das bedeutet, dass in jeder Klasse im Durchschnitt ein bis zwei Kinder mit einer Lernstörung sitzen.
Buben sind etwas häufiger betroffen als Mädchen. Lese-Rechtschreibstörungen sind mittlerweile etwas besser erforscht, das Wissen über Rechenstörungen ist noch sehr begrenzt. Für die Entstehung scheinen mehrere Faktoren verantwortlich zu sein, darunter auch genetische. Gesichert ist, dass schulische Zustände oder familiäre Probleme nicht „schuld“ an einer Lernstörung sind.
Häufig sind Lernstörungen auch von anderen Entwicklungsstörungen, beispielsweise Aufmerksamkeitsstörungen, begleitet. Die Ursachen für das gehäufte, gemeinsame Auftreten sind nicht ganz klar, auch hier dürften genetische Faktoren eine Rolle spielen.
Frühzeitig erkennen
In der Regel machen sich Lernstörungen innerhalb des ersten Schuljahres bemerkbar. Erste Hinweise kann es schon im Kindergarten geben, indem beispielsweise beim Nachahmen von Lauten oder Silbenklatschen Probleme auftreten.
In der Regel obliegt es dem geschulten Auge der Lehrpersonen, Kinder mit Problemen in diesen Bereichen ausfindig zu machen und anschließend zu beobachten, ob eine gewisse Unreife besteht, oder ob sich eine manifeste Lernstörung entwickelt. Manchmal sind die Probleme allerdings einfach körperlicher Art, weil das Kind beispielsweise schlecht sieht oder hört. Daher wird den Eltern geraten, zumindest einmal vor Schuleintritt das Seh- und Hörvermögen ihrer Kinder überprüfen zu lassen.
Eltern sollten jedenfalls aufmerksam werden, wenn für Hausaufgaben zumindest doppelt so viel Zeit benötigt wird, wie von der Schule vorgesehen ist. Bevor die Beziehung zwischen Eltern und Kindern durch monate- bis jahrelanges langwieriges Nachsitzen und Üben extrem belastet wird, sollten Eltern möglichst frühzeitig Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrern suchen. So kann bereits früh eine gezielte Diagnostik und Behandlung einsetzen. Darüber hinaus können Missverständnisse wie unberechtigte Schuldzuweisungen von Eltern an Lehrpersonen vermieden werden.
Gezielte Förderprogramme
Die Diagnose einer Lernstörung wird in der Regel durch schuleigene oder externe Psychologinnen und Psychologen gestellt. Diese führen Leistungstests zur Feststellung der Intelligenz bzw. standardisierte Lese-, Rechtschreib- und Rechentests durch.
Das weitere Vorgehen kann so aussehen, dass sich Pädagogen, Psychologen und Eltern zusammen die Ergebnisse der Tests ansehen und für das Kind ein Maßnahmenkatalog und ein Förderplan erstellt wird. Im Rahmen des Förderplans kann beispielsweise eine Lerntrainerin für Mathematik einmal in der Woche mit dem Kind arbeiten. Falls sinnvoll können auch die Eltern in das Förderprogramm einbezogen werden. Es können auch externe Therapieangebote von einschlägigen Instituten in Anspruch genommen werden. Allerdings gibt es für diese in Österreich keine Ausbildungsstandards, sodass die Qualität solcher Institute sehr variieren kann. Die Finanzierung einer gewissen Zahl von Therapieeinheiten kann unter bestimmten Voraussetzungen von der Kinder- und Jugendhilfe (früherer Jugendamt) übernommen werden. In der Regel bezahlen die Eltern allerdings selbst den Förderunterricht. Hier wäre der Wunsch der Expertinnen, dass diese Kosten von den Leistungsträgern übernommen würden.
Problemfeld ADHS und Schule
Konzentrationsstörungen können nicht nur als Folge von Lernstörungen auftreten, sondern auch Teil eines eigenständigen Krankheitsbildes sein. Bekannt sind das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) und das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Für Kinder mit diesen Störungen stellt die Schule häufig ein großes Problem dar. Dies gilt nicht nur für die hyperaktiven Kinder mit ADHS, sondern auch für jene ohne Hyperaktivität (ADS), die eher verträumt, langsam und leicht ablenkbar sind. Obwohl die Kinder normal intelligent sind, weisen sie schlechte Schulleistungen auf.
Diese Kinder leiden häufig unter Entmutigung, depressiven Verstimmungen und Demotivation, und letztendlich wird die Schule zur Qual für Kinder und Eltern. Auch bei Kindern mit ADHS oder ADS sollten die Eltern möglichst rasch Kontakt zur Schule suchen bzw. eine gezielte Diagnostik und Therapie in die Wege leiten.
In diesem Zusammenhang sollte betont werden, dass eine medikamentöse Therapie nur für einen Teil der betroffenen Kinder erforderlich ist.